von Lívia Grün
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22. Mai 2025
Gedanken zur Verantwortung in der Postproduktion Wie weit darf man gehen, wenn es um Emotionen im Film geht? Wann wird es berührend – und wann manipulativ? In meiner Arbeit als Filmemacherin ist das eine der zentralen Fragen. Ich will mit meinen Filmen berühren. Ich möchte, dass der Zuschauer innehält, sich verbindet, sich erinnert, sich vielleicht sogar selbst darin erkennt. Aber nie soll es sich schwer oder überladen anfühlen. Emotion, ja – aber mit Respekt. Ziel ist nicht Tränen, sondern Berührung Mein Ziel ist es nicht, jemanden zum Weinen zu bringen. Ich möchte berühren. Ich wünsche mir, dass der Zuschauer sich mit der Geschichte verbindet und etwas in sich selbst wiederentdeckt – durch Wahrheit, Stille, Musik und eine sorgfältige Erzählweise. Ich meide bewusst übermäßige Dramatik. Ich will keinen schweren Film machen, sondern einen, der Leichtigkeit und Reflexion miteinander verbindet. Wenn ein Interviewpartner in Tränen ausbricht, beende ich oft die Szene vorher. Die Emotion ist spürbar – ohne dass ich die Tränen zeigen muss. Denn in Tränen zeigt sich oft mehr, als notwendig ist. Ein gutes Beispiel dafür ist der Moment im Film über die Fotografin Tati Borges-Schindler , in dem sie erzählt, dass sie ihre Mutter im Alter von sieben Jahren verloren hat. Ein Thema, das sehr leicht ins Melodramatische kippen könnte. Als sie das sagt, atmet sie tief ein und schaut nach oben – in der Aufnahme kommen ihr sofort die Tränen. In der Postproduktion habe ich genau an dieser Stelle geschnitten: Ich zeige nicht den Moment des Weinens, sondern blende zur Fotografie ihrer Mutter über. Erst später, als Tati wieder gefasst weiterspricht, kehrt das Bild zu ihr zurück. Es war eine starke Entscheidung – die Emotion ist da, aber genau im richtigen Maß.
👉 Hier geht’s zum Film AboutMe - Tati Borges-Schindler Wahrhaftigkeit bringt Tiefe Für mich hängt die emotionale Wirkung eines Films immer mit der Wahrheit zusammen. Wenn jemand ehrlich erzählt, wenn die Verbindung stimmt, wenn Musik und Schnitt den richtigen Ton treffen – dann entsteht diese aufrichtige, stille Berührung, die so viel mehr sagt als große Worte oder dramatische Bilder. Ich vertraue dabei meiner Intuition. Ich frage mich: Ist das noch ehrlich – oder schon zu viel? Muss diese Szene so lange dauern? Braucht es an dieser Stelle Musik – oder besser Stille? Immer wieder entscheide ich mich bewusst für den leisen Weg. Verantwortung in der Auswahl Viele Menschen teilen in unseren Interviews sehr persönliche Geschichten. Manchmal erzählen sie sogar Dinge, die sie selbst noch nie laut ausgesprochen haben. Das ist ein großes Geschenk – und eine große Verantwortung. Ich würde niemals etwas verwenden, das der Person im Nachhinein schaden oder sie bloßstellen könnte. Alles, was ich nutze, ist mit dem Ziel geschnitten, ihre Geschichte zu stärken – nicht sie zu entblößen. Der richtige Ton macht die Musik Die Auswahl der Musik ist für mich einer der schwierigsten, aber auch wichtigsten Schritte in der Postproduktion. Ich höre stundenlang Musik, teste Szenen, schaue, ob Bild und Ton sich ergänzen, ob sich eine natürliche Dramaturgie ergibt. Eine gute Musik unterstützt die Geschichte, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Auch der Rhythmus ist entscheidend: schnelle Schnitte bei freudigen Momenten, lange Einstellungen bei nachdenklichen Szenen. Und manchmal – lasse ich einfach nur die Kamera beobachten. Keine Schnitte, keine Bewegung. Nur schauen. Denn oft erzählt das Bild allein schon alles. Beobachten statt Eingreifen: Die Rolle der Kamera Ein oft unterschätzter Aspekt beim Erzählen emotionaler Geschichten ist die Kameraarbeit. Es gibt Momente, in denen weniger wirklich mehr ist – und genau dann lasse ich die Kamera einfach nur beobachten. Keine hektischen Schnitte, keine dramatischen Bewegungen, keine künstliche Nähe. Ich lasse die Szene für sich sprechen. Ich habe gelernt, dass es in bestimmten Momenten besser ist, die Kamera still zu halten, präsent zu bleiben und nicht zu viel einzugreifen. Wenn jemand spricht, sich bewegt, nachdenkt – dann darf die Kamera einfach da sein. Diese Zurückhaltung schafft Raum für echte Emotion. Natürlich habe ich manchmal den Impuls, Perspektiven zu wechseln oder einen zweiten Winkel einzubauen. Aber gerade in diesen stillen, intensiven Augenblicken merke ich oft im Schnitt: Hätte ich die Szene nur laufen lassen! Diese kleinen Gesten, diese echten Reaktionen – sie sind oft viel kraftvoller als jeder inszenierte Kameraschwenk. Fazit: Weniger ist oft mehr Emotion entsteht nicht durch Tränen oder große Gesten. Sie entsteht im Zwischenraum. Im Blick, im Zögern, im Schweigen. Und genau diese Momente möchte ich zeigen – mit Respekt, mit Feingefühl, mit Verantwortung.